Spoilerwarnung: Wer den Film noch sehen möchte, sollte diesen Beitrag nicht lesen

Vor ein paar Tagen wurden in Los Angeles zum 95. Mal die Oscars verliehen. Ruben Östlunds “Triangle of Sadness”, den ich im Januar mit meinem Freund im Kino gesehen habe, ging mit drei Nominierungen ins Rennen (Bester Film, Beste Regie, Bestes Originaldrehbuch). Der Film konnte keine der drei Kategorien für sich entscheiden. Und darüber bin ich ganz froh.

Manche hören vielleicht jetzt zum ersten Mal von “Triangle of Sadness” und ich hatte ihn zuerst auch nicht auf dem Radar, bis ich durch Instagram auf die schauspielerische Leistung der philippinischen Nebendarstellerin Dolly De Leon aufmerksam geworden bin. Sie war jeweils für den BAFTA und den Golden Globe Award als beste Nebendarstellerin nominiert. Für mich war es das erste Mal, dass ich von einer gebürtigen Filipina hörte, die für internationale Filmpreise nominiert wurde. Doch der Film hat mich enttäuscht und ich will euch gerne erklären warum.

Ich werde in diesem Beitrag auf die Darstellung von (Südost-)asiatisch gelesenen Menschen durch den Film eingehen, insbesondere von Filipin@s, aber ganz besonders von der philippinischen Frau*.  

Foto: IMDB

“Triangle of Sadness” ist in drei Akte aufgebaut. Da Dolly De Leon im ersten Akt noch gar nicht zu sehen ist, steige ich direkt beim zweiten Akt ein: Hier folgt man dem weißen Model-Paar, bestehend aus den Protagonist*innen Carl und Yaya, auf ein luxuriöses Kreuzfahrtschiff. Kennt man die Synopsis des Films vor dem Kinobesuch nicht, wird manchem jetzt eventuell klar, wie eine philippinische Person es auch auf die große Leinwand geschafft hat: nämlich als Crew-Mitglied (Filipin@s machen rund ein Drittel der Crews auf Kreuzfahrtschiffen aus). 

Dolly bzw. Abigail klopft bei ihrem ersten unauffälligen Auftritt an die Tür des Protagonist*innen-Paares, um die Kabine zu reinigen und wird wieder weggeschickt. Im weiteren Filmverlauf werden Szenen gezeigt, in denen Zuschauer*innen einen Einblick unter Deck bekommen. Dort, wo sie niemand sehen kann, arbeiten ausschließlich People of Color. Unter Deck sprechen viele Menschen Tagalog miteinander und ich freue mich über die realistische Präsentation der hart arbeitenden Filipin@s.

Im dritten Akt kommt dann Abigails großer Auftritt. Das Schiff ist inzwischen gekentert, die Gäst*innen gestrandet und sogar die sonst so souveräne, weiße Crew-Managerin ist überfordert. In der Stunde größter Not wird Abigail in einem Rettungsboot am Strand angespült, das aussieht wie ein leuchtend oranges U-Boot. Sobald sie ausgestiegen ist, weiß sie sich natürlich sofort zu helfen: Sie fängt einen Oktopus mit ihren bloßen Händen, kann Feuer machen und die ganze Gruppe mit köstlichem Essen versorgen. Irgendwie ein langweiliges Stereotyp, aber na gut. 

Durch ihre einzigartigen Skills kann Abigail in kürzester Zeit ein Matriarchat auf der Insel errichten – und sie ist ganz oben an der Spitze (“In the Yacht – cleaning lady. Here – Captain”).

Foto: Variety

Sie lässt sich von den vermögenden Männern mit teuren Uhren bestechen und bestraft die Personen, die gegen ihre Regeln verstoßen. Außerdem darf sie Menschen auch begnadigen und so geschieht es, dass sie dem ungehorsamen Carl “anbietet”, mit ihr in ihrem Rettungsboot zu schlafen.

In dieser Szene kippte meine Stimmung langsam. Ich fand es nicht nachvollziehbar, was mit der Situation angedeutet wurde. “Will Abigail Carl ausnutzen? Und Carl geht tatsächlich mit ihr ins Boot? Das kann ich mir nicht vorstellen.”

Die folgenden Szenen zeigen, wie Carl jeden Abend mit Abigail in das Rettungsboot steigt und er im Gegenzug sich und seine Freundin Yaya mit Essen versorgen kann. Tagsüber wird er dafür von allen anderen aufgezogen, während Yaya versucht, die Situation irgendwie auszuhalten. 

In dem Moment, als die Kamera auflöst, was im Rettungsboot geschieht, wird mir schlecht und ich werde traurig und wütend; Abigail nutzt Carl tatsächlich für Sex aus. Meine letzten Hoffnungen, dass Carl doch aus freien Stücken mit ihr intim geworden ist, verpuffen schließlich, als sie sagt “You said: You give me food. I love you”. 

Carl liebt Abigail natürlich nicht, sondern sie nutzt ihre Machtposition einerseits und seine fehlenden Survival-Skills andererseits aus, um sich ihr Leben auf der Insel ein bisschen angenehmer zu gestalten. 

Ich weiß, dass meine heftige emotionale und körperliche Reaktion nicht für alle nachvollziehbar ist. Deswegen will ich versuchen, euch die Wendung der Geschehnisse auf der Insel durch meine Augen zu zeigen. 

Ich bin eine 27-jährige Deutschfilipina, die in Deutschland geboren und aufgewachsen ist. Ich bin keine Seltenheit mit meiner Biografie. Ich bin eine von vielen südostasiatisch gelesenen Frauen in einer weißen, patriarchalen Gesellschaft.

Seit meinem dreizehnten Lebensjahr erlebe ich, dass ich von (weißen) Männern exotisiert, sexualisiert und fetischisiert werde. Diese Erfahrungen habe ich nicht nur selber gemacht, sondern musste sie auch mein ganzes Leben beobachten. Bei meiner Mutter, meiner Schwester, in Filmen und Serien, in denen die einzigen Frauen, die aussahen wie ich, einem von wenigen Stereotypen entsprachen: dragon ladies, china dolls oder tiger moms.

Nun sitze ich im Kinosaal und sehe jemanden, mit dem ich mich ansatzweise identifizieren kann und will. Oder wollte. Denn die Person hat sich gerade in all das verwandelt, was mich an Menschen anwidert, die am längeren Hebel sitzen.

Ich weiß, dass Ruben Östlund genau das wollte; diesen krassen Wechsel von Machtdynamik und Unterdrückung. Mir gefällt nicht, dass er es auf Kosten der asiatischen Frau gemacht hat. 

Ich bezweifle, dass er keine andere Möglichkeit hatte, außer Abigail zu der sexuellen Unterdrückerin zu machen die dann zu allem Überfluss in der vorletzten Szene vielleicht/vielleicht auch nicht, Yaya aus dem Hinterhalt mit einem Stein erschlagen will, um ihr Matriarchat aufrechtzuerhalten und nicht in ihr “armseliges” Leben zurückzukehren.

 Er impliziert in meinen Augen damit, dass Filipinas weiße Männer genauso gerne (?) sexuell ausbeuten würden, wenn sie die Gelegenheit dazu hätten. 

Gleichzeitig stellt er die Arbeit der Philippin@s auf Schiffen in ein schlechtes Licht. Die Arbeit ist hart und die dort herrschenden Bedingungen halte ich auch nicht für angemessen.

Foto: Postperspective.com

Trotzdem weiß ich aus Gesprächen mit Crew-Mitgliedern, dass sie stolz auf ihre Arbeit sind. Die Darstellung im Film finde ich jedoch extrem herabwürdigend. 

Asiatisch gelesene Frauen haben nicht die Möglichkeit, ihr Bild, das die Filmindustrie mit der Reichweite und dem Erfolg eines Ruben Östlund zeichnet, zu korrigieren

Die Reproduktion von diesen Stereotypen kann im schlimmsten Fall töten (siehe Atlanta). Ich kann mich nicht darauf verlassen, dass besonnene Zuschauer*innen wissen, dass wir nicht schuld an dem Sextourismus und der Sexualisierung unserer Person sind, und wir nicht am liebsten den Spieß umdrehen würden. 

 Ich freue mich für Dolly De Leon und über die Aufmerksamkeit, die sie ganz zu recht für ihre schauspielerische Leistung bekommen hat. 

Ich hoffe auch, dass es ist nicht das letzte Mal sein wird, dass wir philippinische Schauspieler*innen auf der großen Leinwand sehen werden. Trotzdem hätte ich mir eine neue und vor allem realistische Darstellung einer asiatischen Frau in der Filmindustrie gewünscht. Leider konnte der Film das nicht liefern.