Am 21./22.05.2023 fand in Köln ein Festival statt, auf das sich nicht nur ich, sondern auch viele andere Asiatisch-Deutsche Menschen aus ganz Deutschland seit Monaten mit Neugierde freuten.
Ich für meinen Teil hatte Anfang des Jahres über eine Telegram-Gruppe, die ausschließlich Deutsch-Asiatische Menschen einlädt, von dem Festival erfahren (contact me for further information). Ich war gleich begeistert! Die gut durchdachte und ansprechende Instagram-Kommunikation des Festivals hat sicherlich ihr Übriges getan und Menschen auch weit über die Kölner Grenzen hinaus zu diesem Anlass ins Bürgerzentrum Ehrenfeld bewegt.
In diesem Beitrag möchte ich jedoch weniger das Festival als solches reflektieren. Sondern vielmehr das, was dieser Raum, der dort von engagierten Menschen mit viel Liebe, Leidenschaft und Überzeugung gestaltet wurde, für mich als Mensch mit asiatischen Wurzeln und deutscher Sozialisation spürbar und erlebbar gemacht hat.
Es geht hier um mein ganz persönliches Empfinden, das sicher nicht deckungsgleich ist mit dem, was andere Menschen fühlen. Und doch sagt mir meine Intuition, dass sich vielleicht auch andere Menschen aus unserem Netzwerk und darüber hinaus angesprochen und abgeholt fühlen könnten. Das ist es, was mich dazu bewegt, meinem Erleben Worte zu verleihen und diese mit euch zu teilen.
Nicht zuletzt auch, weil das Festival quasi vor meiner Haustür stattfand, hatte ich mir schon Wochen zuvor das gesamte Wochenende im Kalender geblockt und mir vorgenommen, beide Tage anwesend zu sein.
Gesagt, getan: Samstagmorgen zur Eröffnungsrede stand ich im Publikum und freute mich auf einen Empowerment-Workshop, Kurzfilm-Screenings, einen Panel-Talk zum Thema „Asiatisch-Deutsch – zwischen Fremd- und Selbstzuschreibung“ sowie ein diverses Abendprogramm, das über Open Stage Performances bis hin zu Konzerten und einem DJ-Set führte.
Spoiler alert: bis zur Party habe ich es nicht geschafft, und den Sonntag habe ich statt auf dem Festival mit mir allein verbracht, um zu mich von den vielen Eindrücken zu erholen…
Das lag nicht daran, dass mit dem Festival etwas nicht stimmte. Sondern daran, dass ich überwältigt war – von diversen Gefühlen und Gedanken, die durch das Gesehene und Erlebte in mir angestoßen wurden. Außerplanmäßig sozusagen, so wie das im Leben manchmal halt ist.
Auch heute habe ich das Gefühl, dass ich noch nicht alles bewusst integriert habe, was sich da in mir bewegt. Nutze aber die Gelegenheit des Schreibens, um ein wenig Ordnung und Sinn in mein Erleben zu bringen. Und lasse euch einfach an diesem inneren Dialog teilhaben.
Ziemlich geschafft von einer vollen Woche war ich dankbar, dass der Samstag mit einem Empowerment-Workshop begann, der unaufdringlich und angenehm anbot, mit vielseitigen Übungen erst einmal bei sich selbst und dann auch bei den anderen Menschen im Raum anzukommen.
Ich war parallel dazu so beeindruckt und bewegt von der Tatsache, dass das die erste größere und öffentliche Veranstaltung meines Lebens ist, die explizit für mich – für Menschen wie mich – gemacht ist. Und dass ich so viele andere junge Asiatisch-Deutsche Menschen aus dem Rheinland, dem Ruhrgebiet, aus dem Münsterland und sogar aus Leipzig kennenlernen durfte. Dabei habe ich über den Tag gar nicht so richtig gemerkt, wie sehr mich die gesamte Situation auch ein Stück weit überfordert und ich gar nicht so recht weiß, wie mir geschieht…
Während der Kurzfilm-Screenings durfte ich sehr persönliche Geschichten und Portraits von Lebenswelten sehen, die nicht nur mich, sondern auch andere im Publikum zum Lachen, aber auch zum Weinen gebracht haben. Auf dem Panel-Talk wurden Fragen und Perspektiven diskutiert, die ich aus anderen Communities marginalisierter Menschen in unserer und auch in anderen Gesellschaften der nord-westlichen Hemisphäre bereits verfolgt habe – seien es Debatten aus der Schwarzen Community, für BIPoC (Black Indigenous People of Color) im Allgemeinen, zum Thema Anti-Muslimischem Hass oder in Bezug auf LGBTQIA+ (Lesbian Gay Bi Trans Queer Inter- Asexual und weitere nicht hetero-norme Menschen).
NIE zuvor aber habe ich in den 35 Jahren meines Lebens erlebt, dass auf einer öffentlichen Bühne mit und über die marginalisierte Gruppe gesprochen wird, der auch ich angehöre.
Und nun saß ich da – inmitten all dieser Menschen mit diversen asiatischen Bezügen; inmitten all dieser Emotionen: Freude, Neugier, Euphorie, Verbundenheit. Und gleichzeitiger – vielleicht weniger sicht-, aber doch spürbarer – Anspannung, Unsicherheit, Überforderung, Trauer.
Über den Tagesverlauf hinweg hat mich dieses „Halo Halo“ an Gefühlen schon zunehmend schwerer gemacht. Aber erst im Gespräch mit meiner engen Freundin, die als Support zu späterer Stunde glücklicherweise auch noch zum Festival kam, kamen mir die Tränen… ohne genauer zu wissen oder benennen zu können, warum.
Auch während ich diese Zeilen schreibe, kommen mir wieder die Tränen.
Ein paar Tage später kann ich sie besser zuordnen. Es sind Tränen der Erleichterung, aber auch Tränen alter Verletzung. Tränen für all die Jahre, in denen ich keine Worte für das hatte, was sich in mir immer irgendwie komisch… anders… einsam anfühlte.
Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, habe ich mich schon seit ich denken kann für die Geschichten von Menschen interessiert, die Marginalisierung erfahren oder ein Leben abseits der „Norm“ führen. Weil Diskriminierung in der Regel intersektional stattfindet, haben all diese Geschichten immer auch etwas mit mir zu tun gehabt – so weiß ich es heute.
Doch sind es erst die letzten Jahre, die öffentlich lauter werdenden Diskurse aus der Mitte und den „unteren“ Reihen der Gesellschaft, die strukturelle Missstände, Herabwürdigung und Machtdispositionen benennen und mir damit ENDLICH Worte für das geben, was den größeren Teil meines Lebens eher als diffuses Gefühl unter der Oberfläche rumort hat.
In der Retrospektive lag die Auswahl an Geschichten außerhalb „meiner“ Community vielleicht auch daran, dass mir das auch immer noch genügend Sicherheitsabstand zu meinen ganz persönlichen Schmerzpunkten bot. Ganz sicher aber hat das letzte Quäntchen Identifikation auch einfach dadurch gefehlt, dass Menschen, die so viele biografische Überschneidungspunkte mit mir haben, in meiner Lebenswelt schlicht und ergreifend unterrepräsentiert und nicht sichtbar waren.
Dies hat sich für mich im letzten Jahr bereits mit dem „Fund“ des Halo Halo Netzwerkes plötzlich verändert. Und hat am vergangenen Wochenende mit dem Festival einen für mich bis dahin noch nicht erlebten Höhepunkt erhalten. Langsam beginne ich zu verstehen, dass dieses Beben allemal einer Erschütterung gleicht, die einiges Verschüttetes ans Tageslicht meines Bewusstseins bringt.
Ich für meinen Teil bin zutiefst bewegt, berührt und dankbar, dass die Zeit meines Stumm seins nach und nach ihr Ende findet. Ich bin dankbar für alle Menschen, die ihre Geschichten erzählen und damit anderen Menschen die Chance geben, Facetten von sich selbst zu finden, die ihnen ermöglichen, (selbst-)bewusster und heil (i.S.v. „being whole“) im Leben zu stehen.
Von Herzen möchte ich hiermit auch dem Rice & Roots Kollektiv – in dem übrigens auch deutsche FilipinX vertreten sind – für ihre unermüdliche ehrenamtliche Arbeit danken.
Auf dass dies ein weiterer Schritt auf der Reise in eine fairere Welt für uns alle ist.
Together we rise!
Fotos: Fadi Elias | In-Haus Media 2023
(@fadi_elias94 | @inhaus_ev)
Danke für deinen Bericht, liebe Christine-Joahn.
Wirklich eine interessante und wichtige Workshop/Festival.